eSport stellt ein relevantes gesellschaftliches Phänomen dar, dem sich der organisierte Sport nicht entziehen kann. Die Frage der Anerkennung als Sportart ist für mich in diesem Zusammenhang zweitrangig. Ohnehin spiegelt das, was wir heute unter „Sport“ fassen, lediglich die Idee des „Modernen Sports“ wieder. Sport ist ebenso wie sein Inhalt dynamisch und steht im Wechselspiel mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die Veränderung unseres Verständnisses von „Amateursport“, der noch vor kaum mehr als einem halben Jahrhundert Menschen ob Ihrer beruflichen Tätigkeit von Olympischen Wettbewerben ausschloss, oder die Veränderungen von Wettkampfstrukturen und Angebotsformen (Sportarten), seien an dieser Stelle beispielhaft genannt. Die in der Sportwissenschaft vorgenommene Differenzierung zwischen Bewegung, Spiel und Sport bildet das auch in der akademischen Diskussion ab: Nicht jede Bewegung ist Sport und nicht jeder Sport ist ein Spiel.
Bewegung, Spiel und Sport erfüllen in unserer Gesellschaft eine Multifunktion von Unterhaltung und Wertschöpfung über Gesunderhaltung bis hin zur sozialen Teilhabe. Dem organisierten Sport kommt an dieser Stelle eine besondere Bedeutung zu, weil er als Institution die Verantwortung für eine Ausgestaltung und Weiterentwicklung trägt, die auf die oben angerissenen multiplen Funktionen einzahlt.
eSport hat zum organisierten (Wettkampf-)Sport zahlreiche Parallelen, die weniger inhaltlicher (FIFA stellt aktuell die einzige „Sport-„Simulation im Kanon der eSport-Spiele dar) als strukturell-organisatorischer Art sind: eSport wird in einem aus dem Sport bekannten Liga-Betrieb ausgerichtet und die Wettkämpfe zeichnen sich durch eine dezidierte Inszenierung aus, die aus Wettbewerben Events macht. eSport vermittelt für Akteure wie für Zuschauer emotionale Erlebnisse, die analog zu traditionellen Sportevents als Bühne für eine Markenkommunikation taugen. Es kann also nicht verwundern, dass gerade in jüngster Zeit zahlreiche Sponsoren vom traditionellen Sport zum eSport abgewandert sind.
Ähnlich wie der traditionelle Sport vermag eSport soziale Bindungen auszubauen und zu stärken und Kompetenzerleben zu vermitteln. Das Spielen digitaler Spiele vermittelt Glücksgefühle, die vergleichbar sind zu denen, die Sportlerinnen und Sportler beim Gelingen von Bewegungsfertigkeiten erfahren. Und auch Transfereffekte lassen sich längst beobachten: Spielerinnen und Spieler digitaler Sportsimulationen erwerben taktisches Wissen, das im realweltlichen Spiel bedeutsam ist. Und die in vielen digitalen Spielen angelegte Schulung der Auge-Hand-Koordination beeinflusst sportliche und berufliche Expertise.
Über die skizzierten Bezüge hinaus spricht vor allem aber auch die Macht des Faktischen dafür, sich der Verbindung von organisiertem Sport und eSport zu stellen. Die Mehrheit der im organisierten Sport aktiven Jugendlichen betreibt in der Freizeit nicht nur „richtigen“ Sport sondern spielt auch digitale Spiele. Vor dem hohen Suchtpotential vieler digitaler Spiele sollen und dürfen dabei nicht die Augen verschlossen werden. Sondern ganz im Gegenteil, gerade weil diese Gefahr gegeben ist, bietet m.E. die Integration von digitalem Spiel in den „echten“, schweißtreibenden und sich in der Wirklichkeit begegnenden Sport die Chance zu einem (hoffentlich) eigenverantwortlichen Umgang mit digitalen Medien im Allgemeinen, digitalen Spielen im Besonderen und eSport als Manifestation eines wettbewerbsorientierten digitalen Spiels.
Insofern hat es mich sehr gefreut einen Beitrag zur Diskussion im Sportausschuss der Hamburger Bürgerschaft leisten zu dürfen und ich verfolge den Fortgang dieser Diskussion mit großem Interesse.
In der WELT fand sich dazu heute ein erster Artikel: https://www.welt.de/print/welt_kompakt/hamburg/article170454299/Ist-E-Sport-ein-Spiel-oder-Sport.html